Historisch Gewachsen

Wie sich das Büro im Laufe der Zeit verändert hat – und wir uns mit ihm.

Vom Mittelalter bis heute hat das Büro einen langen Weg hinter sich. Kaum vorstellbar ist eine Zeit, in der es keine echten Tische und Stühle gab, in der Menschen noch hauptsächlich draußen arbeiteten. Wir sind so in unserer Bürokultur verhaftet, dass es gut tut, kurz innezuhalten und sich auf die Anfänge zurückzubesinnen. Vom Skriptorium über Kontor und Kanzlei bis zum Großraumbüro: eine Zeitreise.

Das Büro ist aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Mal geliebt, mal gehasst ist es Arbeitsort, sozialer Austausch, Lebensmittelpunkt. Etwa elf Millionen Deutsche, 24% aller Beschäftigten, verbringen dort ihren Arbeitstag. Denkt man an Büros, hat man schnell ein konkretes Bild vor Augen: Schreibtische, Stühle, Regale, vielleicht als Open-Space-Variante, vielleicht als Einzelbüro. Die Ursprünge des Büros sahen jedoch ganz anders aus und reichen bis ins Mittelalter zurück.

Pergament

Die Geburtsstunde des Büros


Im Mittelalter war das Lesen und Schreiben den Geistlichen und Adligen vorbehalten, weshalb die Büroarbeit des ‚dunklen‘ Zeit- alters hauptsächlich in Klöstern stattfand. Die Schreibstube — das Skriptorium — war kein baulich festgelegter Raum, oft wurde einfach ein freies Zimmer als solche eingerichtet. Mönche und Nonnen verfassten und kopierten dort Schriften, später auch Bücher. Tische, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch nicht — lediglich zwei Tischböcke, auf die Bretter oder sogar Türen gelegt wurden.

Um die kostbaren Bücher und Pergamente vor Splittern und grobem Holz zu schützen, legte man einen Stofffetzen darüber: die burra. Der lateinische Begriff sollte sich im französisch geprägten Mittelalter zum altfranzösischen bure wandeln, was schließlich zu bureau wurde. Damit veränderte sich nicht nur die äußerliche Form des Wortes, sondern auch seine Bedeutung: Meinte man am Anfang mit burra noch den groben Stoff, bezog sich bure im 18. Jahrhundert auf das gesamte Ensemble aus Tisch und Stoffauflage. 100 Jahre später gab es eine letzte Bedeutungsverschiebung: bureau bezeichnete nicht mehr nur den Tisch, sondern auch den ganzen Raum, in dem er stand — das Arbeitszimmer war geboren. Nach diesen Irrungen und Wirrungen gelangte der französische Begriff auch nach Deutschland und fand als Büro Eingang in unsere Sprache.

»ONLY TRY TO DO IT YOURSELF AND YOU WILL LEARN HOW ARDUOUS IS THE WRITER‘S TASK. IT DIMS YOUR EYES, MAKES YOUR BACK ACHE, AND KNITS YOUR CHEST AND BELLY TOGETHER. IT IS A TERRIBLE ORDEAL FOR THE WHOLE BODY«
– PRIOR AUS DEM 10. JHD.

Papier

Aus Thron wird Stuhl


Im Vergleich zum Mittelalter gewann das Wissen in der Renaissance einen immer höheren Stellenwert. Der Mensch rückte in den Mittelpunkt des Denkens, es wurden Universitäten gegründet, man beschäftigte sich mit Wissenschaft und immer mehr Menschen lernten Lesen und Schreiben. Der zunehmende Fernhandel brachte neben stark ansteigender Briefkorrespondenz auch die Buchführung mit sich: Kaufleute mussten inventarisieren, kalkulieren und bilanzieren. Mehr und mehr stieg der Bedarf an Arbeitsplätzen für diese klassischen Büroarbeiten. Zwar waren die Arbeitszimmer ab 1500 noch immer zufällig gewählt, doch verliehen ihre Funktionen ihnen schon besondere Namen: Handelsleute bezogen Kontore, Beamten und Juristen arbeiteten in Kanzleien.

Schreibarbeiten erledigte man hauptsächlich im Stehen, trotzdem veränderten sich langsam die Tische. Aus der eher provisorischen Konstruktion mit Tischböcken und Brettern entstanden unter anderem der Zargentisch und der Sekretär — wesentlich stabiler und als dauerhaftes Möbelstück an einem festen Ort.

Reich geworden durch den Handel gewann das Bürgertum immer mehr an Bedeutung. So wagte es sich an ein Statussymbol, das bisher für die herrschende Klasse reserviert war: den Thron. Wohlhabende Bürger stellten schlankere, weniger massive Exemplare dieses Möbelstücks in ihre Arbeits- und Empfangsräume. Der Trend fand großen Anklang und so wurde der Thron von einst zum unspektakulären Stuhl von heute.

Erst während der Aufklärung im 18. Jahrhundert begannen die Menschen, sich ganz bewusst ein Arbeitszimmer einzurichten. Je nach Funktion erhielt es einen anderen Namen: Amtsstube, Geschäftszimmer und Sekretariat ergänzten von nun an Kontor und Kanzlei — ein erster Hinweis auf die bevorstehenden Veränderungen durch die
Industrialisierung.

Schreibmaschine

Die beeindruckende Effizienz des Taylorismus

Die Dampfmaschine veränderte die Welt, die Schreibmaschine die Bürolandschaft: Die Industrialisierung war eine Zeit der
Umbrüche und machte Mitarbeiter von kleinen Familienbetrieben zu Angestellten in gewaltigen Arbeitsstätten. Die Industrie verlieh der Produktion von Gütern eine ganz neue Dimension und mit ihr wuchsen auch die Verwaltungsaufgaben. Ganz im Sinne der Arbeitsteilung unterschied man auch die Büroarbeit ihrer Funktion entsprechend: Auftragsannahme, Buchhaltung, Schreibdienst, Kalkulation und Versand fanden von nun an in verschiedenen Arbeitsräumen ihren Platz.

Gleichzeitig entstanden die ersten Gebäude, die ausschließlich der Büroarbeit dienten. Man erkannte, dass die neue Arbeitsform auch ein neues Umfeld verlangte. Immer mehr wurde die Büroeinrichtung auf Produktivität und Effizienz ausgelegt, sodass große Säle entstanden, in denen die Angestellten mit ihren Schreibtischen in langen Reihen hintereinander saßen — ihr Blick nach vorne zum Aufseher gerichtet, der alles überwachte. Frederick Winslow Taylor brachte diese Entwicklung mit seinen Theorien zum ‚Scientific Management‘ auf den Punkt: „In the past the man has been first; in the future the system must be first.“

Mit der Verbreitung der Schreibmaschine zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging nicht nur die Schreib- und Kopierarbeit schneller, sie sorgte auch dafür, dass erstmals Frauen der Büroarbeit nachgingen. Männer lehnten das Tippen kategorisch ab und so waren 1925 schon fünfmal so viele Frauen im Büro beschäftigt wie noch 1907, während sich die allgemeine Zahl von Büroangestellten in diesem Zeitrahmen lediglich verdoppelte.

Im Wirtschaftswachstum nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich aus den etablierten Bürosälen schließlich andere Gestaltungsformen. Die starre, nach vorne gerichtete Einrichtung löste sich langsam zugunsten von Gruppen-, Zellen-, Einzelbüros und den berühmt-berüchtigten Cubicles auf. Dabei wurden Letztere nicht etwa in den USA, sondern 1958 in Deutschland erfunden. Die Quickborner Bürolandschaft der Möbelfabrikanten Wolfgang und Eberhard Schnelle diente als Vorbild für Robert Probsts und George Nelsons Action Office: Hier waren Arbeitskabinen aus Tisch und Stuhl von einer Trennwand umgeben und ihrer Funktion entsprechend im Grundriss angeordnet.

Diese heute von vielen als Bürohölle empfundene Gestaltung sollte ursprünglich ein großer Schritt Richtung Freiheit sein: Das Action Office förderte die Kommunikation, war offener und ließ sich individuell anpassen. Jeder Mitarbeiter hatte sein eigenes kleines Reich auf 4 m2. Allerdings verkamen diese hehren Ideale im Laufe der Zeit zu geometrisch durchgeplanten, engen und grauen Trennwand-Zellen, die viele als produktive Gefängnisse empfanden. Erst in den 80er-Jahren sollte sich die Büroeinrichtung langsam zu wirklicher Offenheit wandeln.

»FOR THE INTELLECTUAL WORK, SEPARATE ROOMS ARE NECESSARY SO THAT A PERSON WHO WORKS WITH HIS HEAD MAY NOT BE INTERRUPTED; BUT FOR THE MORE MECHANICAL WORK, THE WORKING IN CONCERT OF A NUMBER OF CLERKS IN THE SAME ROOM UNDER PROPER SUPERINTENDENCE, IS THE PROPER MODE OF MEETING IT.«
– BERICHT DER BRITISCHEN REGIERUNG (1850)

Computer

Arbeit oder Selbstverwirklichung?


Nachdem der Computer in den 80er-Jahren nicht mehr ganze Räume füllte, sondern zu einem kompakten Gerät geschrumpft war, hielt er auch Einzug in die Büros. Sein Erscheinen wurde von Mobiltelefonen, Faxgeräten, Kopierern und sich schnell verändernden Speichermedien begleitet — Werkzeuge, die den Büroalltag revolutionierten und ihn sehr viel einfacher machten. Gleichzeitig veränderte sich auch die Gesellschaft. Die Grundbedürfnisse waren in der westlichen Welt weitgehend gedeckt, auch die Gesundheitsversorgung hatte einen vergleichsweise hohen Standard erreicht. Der Mensch konnte sich mehr und mehr mit individuellen Bedürfnissen beschäftigen, er hatte viel mehr Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen. Die Arbeit war nicht mehr nur ein Mittel, um Geld zu verdienen, sondern wurde zur sinnstiftenden Tätigkeit — für manche bildete sie sogar den Lebensinhalt.

Viele Menschen machten das Büro zu ihrem Lebensmittelpunkt, was schließlich dazu führte, dass sie sich auch für ihre Arbeitsstätte ein angenehmeres, häuslicheres Umfeld wünschten. So kamen neben dem rein funktionslosen, straff durchgeplanten Raum neue Bürokonzepte auf, die zum ersten Mal wirklich die starre Ausrichtung der Bürosäle auflösten. Die Technologie-Giganten der Dotcom-Zeit trieben diesen Trend maßgeblich voran: Sie gestalteten die Räume farbenfroh und richteten nicht nur Arbeitsplätze ein, sondern brachten Freizeitmöglichkeiten ins Büro. Im Casual Office gab es keinen Dresscode, sondern unternehmenseigene Cafés, Gaming-Zimmer und Lounge-Bereiche. Im Fokus standen die Mitarbeiter, deren Arbeitsplatz zum Wohlfühlort werden sollte.

Die Großraum-Atmosphäre der Büros blieb jedoch unverändert, was auch die negativen Folgen nicht reduzierte: akustische Belastung, Ablenkung und eine ständige Verfügbarkeit. Oft fehlte die Möglichkeit, sich zurückzuziehen und sich ohne Unterbrechung einer Aufgabe zu widmen — nicht zuletzt, weil die Mitarbeiter an einen fest installierten Desktop-Computer gebunden waren.

»COMPUTERS ARE MAGNIFICENT TOOLS FOR THE REALIZATION OF OUR DREAMS, BUT NO MACHINE CAN REPLACE THE HUMAN SPARK OF SPIRIT, COMPASSION, LOVE, AND UNDERSTANDING.« – LOUIS V. GERSTNER, JR.

Cloud

Heute Arbeiten — immer und von überall

Mit der Entwicklung von Laptops und Mobiltelefonen ist die Welt mobiler geworden. Die Digitalisierung und die Entwicklung der Cloud haben einen festen Arbeitsplatz schließlich obsolet gemacht. Die Möglichkeit, alle Daten auf einem Online-Server zu speichern und sie von überall abzurufen, bindet Mitarbeiter nicht mehr an einen Schreibtisch, was die heutige Büroeinrichtung grundlegend verändert. Zwar gibt es den Open Space noch immer, doch wird er um weitere Bereiche ergänzt: Cafeterien, Fitness-Zonen, Event Spaces, Lounges, Ruheräume und Gruppenarbeitsräume übernehmen jeweils eine bestimmte Funktion im Büro. So können Mitarbeiter von Ort zu Ort wandern, je nachdem, welches Arbeitsumfeld sie gerade benötigen. Das Modell des Activity Based Workspace wurde zwar schon in den 90er-Jahren entwickelt, kann aber heute erst wirklich gelebt werden.

Die steigende Mobilität hat nicht nur Auswirkungen auf die Büroräume, sondern auf die Arbeitskultur allgemein. Mitarbeiter können dank der Cloud überall arbeiten — sei es von zu Hause aus, im Café oder im Zug. Das Büro ist dort, wo der Mensch gerade ist. Die Schattenseite: Durch die flächendeckende Vernetzung ist man ständig erreichbar, selbst nach Dienstschluss. So verschmelzen Arbeit und Privates immer mehr miteinander, es kommt zum Work-Life-Blending. Noch verstärkt wird diese Tendenz dadurch, dass sich viele Mitarbeiter im Zeitalter der Cloud die Arbeit nach Hause holen. Das Home Office macht die eigenen vier Wände zum Büro und findet so großen Anklang, dass manche Unternehmen das Prinzip Desk Sharing eingeführt haben: Mitarbeiter sitzen nicht mehr an einem festen Schreibtisch im Büro, sondern wechseln an irgendeinen Platz, der gerade frei ist. Insgesamt gibt es weniger Schreibtische als Angestellte, weshalb das Unternehmen Mobiliar, Platz und damit auch Miete spart. Das Konzept funktioniert natürlich nur, wenn nie alle Angestellten gleichzeitig vor Ort sind.

Den Sharing-Gedanken greift auch das Konzept Coworking auf: Eine Art Gemeinschaftsbüro, in dem man sich einen Arbeitsplatz anmieten kann. Das ist besonders praktisch für Selbstständige, Gründer und digitale Nomaden, die schließlich doch dem Home Office überdrüssig geworden sind. Aber auch Corporates entdecken den Flexible Office Space für sich. Im Vergleich zum klassischen Business Center bieten Coworking Spaces nicht nur den reinen Arbeitsplatz, sondern auch Möglichkeiten, um Gemeinschaft zu erleben und das berufliche Netzwerk auszubauen. Denn obwohl ein fester Arbeitsplatz durch die Cloud nicht mehr unbedingt nötig ist, hat ein Büro doch entscheidende Vorteile: Es schafft einen Ort der Gemeinschaft und bietet Möglichkeiten zum sozialen Austausch, auch abseits der täglichen Aufgaben. Es verleiht der Arbeit einen festen Rahmen, der hilft, das Berufliche vom Privaten zu trennen. Schließlich kann es mit dem richtigen Konzept zu einem Wohlfühlort werden, in dem wir einen großen Teil unserer Lebenszeit verbringen.

»CLOUD COMPUTING IS THE THIRD WAVE OF THE DIGITAL REVOLUTION.«
– LOWELL MCADAM, CEO OF VERIZON