Sharing Real Estate

Wie Flexible Office Space die Immobilienwirtschaft verändert. Ein Gastbeitrag von Felix Gauger

Sharing Economy auf allen Ebenen


Es gibt kaum eine Branche, in der die Sharing Economy noch nicht angekommen ist und zu radikalen Umbrüchen geführt hat. Das beste Beispiel für diesen unaufhaltsamen Trend ist vermutlich die Automobilbranche. Als Reaktion auf den Sharing-Gedanken haben Automobilhersteller ihre Geschäftsmodelle mit Carsharing-Lösungen und Mobilitätsdienstleistungen völlig neu ausgerichtet. Sie gehen den Weg vom Produzenten hin zum Dienstleister. Auf der anderen Seite sind Firmen wie Uber oder Lyft eine ernsthafte Bedrohung für Automobilhersteller, denn sie führen dazu, dass der individuelle Fahrzeugbesitz obsolet wird. Dadurch werden die großen Player der Branche zum bloßen Lieferanten der Mobilitätsanbieter degradiert.

Mittlerweile mischt der Sharing-Trend auch die Immobilienwirtschaft auf. Insbesondere im Büromarkt nimmt das Angebot an Flexible Office Space stark zu. Der Mehrwert
liegt hier — wie auch in anderen Branchen — nicht allein im physischen Produkt, sondern vielmehr in den Dienstleistungen, die um das Produkt herum entstehen. Inzwischen hat die Sharing Economy eine Vielzahl an Ausprägungen in der Immobilienwirtschaft erreicht (Abbildung 1).

ROOMHERO/
Lena Hoppenstaedt

Potenzial für neue Wohn- und Arbeitskonzepte

Die größte Aufmerksamkeit erfährt der Sharing-Gedanke im Bürosegment. Unter den Sammelbegriff Flexible Office Space fallen sowohl Coworking Spaces und hybride Modelle als auch Serviced Offices bzw. Business Center. Doch selbst im Wohnsegment fördert die Sharing Economy neue Formen des Wohnens und Zusammenlebens: Serviced Apartments und Coliving-Angebote sind häufig im Zusammenspiel mit Flexible Office Space zu finden. Eine weitere Spielart dieser Entwicklung sind erste Coproduktion-Angebote wie Makerspaces. In diesen gemeinschaftlich genutzten Werkstätten haben auch Menschen ohne eigene Werkzeuge und Maschinen die Möglichkeit, ihre Produkte zu fertigen. So wechseln Fertigungsprozesse zumindest im kleinen Maßstab den Ort, was wiederum Veränderungen und neue Nutzungsformen für die Immobilienwirtschaft mit sich bringt.


Flexible Office Space

Flexible Office Space stellt flexiblen Arbeitsraum für Selbstständige, Entrepreneure und Angestellte zur Verfügung, der gemeinsam genutzt wird. Neben dem Zugang zum reinen Arbeitsplatz profitieren Nutzer von Dienstleistungen wie einem Empfang, der Möglichkeit zur Teilnahme an Veranstaltungen, Networking Events und Vorträgen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt zudem die Gemeinschaft. In den letzten Jahren hat sich Flexible Office Space bereits so weit etabliert, dass er sich in verschiedene Geschäftsmodelle unterteilen lässt: Business Center, Coworking Spaces und eine Mischform daraus — die hybriden Modelle (Abbildung 2).

Definition von Flexible Office Space

Flexible Office Space ermöglicht flexibles arbeiten voneinander unabhängiger Wissensarbeiter an einem gemeinsamen, institutionalisierten Ort. Nutzerfokussierte Dienstleistungen, ein soziales Umfeld und eine hohe Arbeitsplatzqualität ermöglichen Steigerungen der Zufriedenheit und Produktion und bieten somit potenziale für den Unternehmenserfolg.

Bildquelle: ROOMHERO/ Lena Hoppenstaedt

Klassische Business Center setzen im Allgemeinen auf (Einzel-)Büros mit hoher Privatsphäre in bester Lage. Dort achten sie vor allem auf ein seriöses und professionelles Umfeld. Coworking Spaces legen ihren Fokus hingegen auf den gemeinsamen Austausch durch die Arbeit im Open Space. Ein lockeres Umfeld, ansprechend Arbeitsflächen und eine geringe Professionalität sind ihre Kernelemente.

Die am meisten verbreitete und am schnellsten wachsende Form von Flexible Office Space sind die sogenannten hybriden Modelle. Der prominenteste Betreiber dieser Form ist WeWork, das mit einer Bewertung von zuletzt 47 Milliarden Dollar zu den wertvollsten Start-ups der Welt gehört. Hybridmodelle vereinen die Professionalität der Business Center mit dem Hip-Faktor der Coworking Spaces, vereinen Einzelbüros mit Gemeinschaftsflächen und bieten ein hohes Service-Level. Dazu gehören beispielsweise Dienstleistungen wie ein Empfang, die Paketannahme oder eine Kaffeebar. Vor allem aber sind es die community-orientierten Maßnahmen wie Pitches, Netzwerkveranstaltungen und wöchentliche Get-Togethers an der Bar, mit denen die Anbieter eine Atmosphäre erschaffen, die mehr zählt als der eigene Schreibtisch. Digitale Dienste wie das Reservieren von Meeting-Räumen via Smartphone, die automatische Push-Benachrichtigung beim Eintreffen des Kunden am Empfang oder eigene Community-Apps runden das Angebot der Flexible-Office-Space-Betreiber ab.

Erfolgsfaktor Community


In Analogie zur Automobilbranche geht der Impuls bei dieser Entwicklung nicht von den alteingesessenen Anbietern aus, sondern
wird durch Start-ups getrieben, die häufig in einer anderen Branche außerhalb der Immobilienwirtschaft beheimatet sind. So wie Drivenow, Uber und Lyft keine klassischen Automobilhersteller sind, sind auch Wework, Mindspace und Co. keine klassischen Immobilienunternehmen.

Immer mehr Bedeutung gewinnen dabei der Community-Aspekt, die Vernetzung der Nutzer und vor allem die Zufriedenheit des Individuums im Raum. Analog zum Mobilitätssektor scheint das physische Gut nicht mehr im Vordergrund zu stehen und der Appeal, die Flexibilität und Unabhängigkeit höher zu wiegen. Wo früher das Firmenfahrzeug und der Eckschreibtisch im Einzelbüro noch Hierarchie und Status ausgedrückt haben, zählen heute das gemeinsame Feierabendbier im Coworking Space und die Tischkickerpartie beim Lunch.

Worin liegen die Erfolgsfaktoren für Betreiber von Flexible Office Space und was sind die Gründe, warum Menschen in den Spaces arbeiten? Um das herauszufinden, haben wir in einer umfassenden Literaturrecherche Journalbeiträge, Konferenzvorträge und Dissertationen zum Coworking ausgewertet, die hauptsächlich auf empirischen Studien beruhen. Die Analyse ergab 349 Nennungen von Erfolgsfaktoren, die wiederum in acht Kategorien eingeteilt wurden (Abbildung 3).

Bildquelle: ROOMHERO/Lena Hoppenstaedt

Die Auswertung zeigt: Das Hauptargument für die Arbeit in Coworking Spaces ist die Gemeinschaft. Darunter fallen Faktoren wie soziale Interaktion, Beziehungen und gemeinsamer Austausch. Die zwanglose Kommunikation in den meistens hierarchiefreien Arbeitsflächen vereinfacht arbeitsbezogene und persönliche Gespräche innerhalb der Community und erleichtert soziale Interaktionen.

Als weiteren wichtigen Grund für einen Schreibtisch im Coworking Space haben viele Befragte die Kollaboration genannt, die Zusammenarbeit bei einer gemeinsamen
Leistung. Die Kollaboration erweitert das Konzept der Gemeinschaft insofern, als dass die Coworking-Nutzer nicht nur an einem gemeinsamen Ort arbeiten, sondern auch an einem gemeinsamen Projekt. Sie diskutieren miteinander und lernen voneinander. Die Literatur führt in diesem Zusammenhang Begriffe wie Wissensaustausch, Feedback und Teamarbeit auf.


Innovativität wird als Eigenschaft von Coworking Spaces ebenfalls sehr geschätzt, da Innovationen oft nicht in Einzelarbeit, sondern als Ergebnis einer Zusammenarbeit entstehen. Häufig ist auch die räumliche Gestaltung und Ausstattung der Spaces ein besonderer Anreiz, da sie kreatives Arbeiten leichter macht und zu neuen Ideen anregt. Dadurch, dass die Coworker in ihrem Umfeld zufriedener sind, steigt auch die Produktivität und die Identifikation mit der Arbeit.

Corporate Coworking Space

Durch die zunehmend projektbasierte Arbeit, die allgemeine Marktdynamik und den gesteigerten Wettbewerbsdruck müssen Coworking Spaces räumlich und zeitlich flexibel sein. Mieter benötigen skalierbare Flächen, die sie rund um die Uhr nutzen können — und das teilweise sehr kurzfristig. Gerade diese Flexibilität ist der Grund, weshalb selbst große Unternehmen immer häufiger Projektteams in die Spaces schicken. Gleichzeitig können sie durch die bedarfsgerechte und spontane Bereitstellung von Arbeitsplätzen ihre Ressourcen besser planen und haben eine hohe Auslastung.

Einige Corporates gehen noch weiter und setzen das Erfolgskonzept Flexible Office Space direkt selbst ein. Unter dem Begriff Corporate Coworking Space passen sie ihre Flächen auf die neuen Anforderungen an. Dafür kooperieren sie entweder mit externen Betreibern oder erbringen die Leistungen in Eigenregie. So ermittelt eine Studie im Auftrag des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) von Prof. Dr. Andreas Pfnür, dass deutsche Unternehmen in den nächsten zehn Jahren rund die Hälfte ihrer Flächen ersetzen müssen, um den neuen Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden.


Immobilienbranche 2.0


Die Beobachtung des Immobilien- und Nutzermarkts zahlt sich aus: Nur so haben Betreiber von Flexible Office Space die Anforderungen an Büroflächen richtig erkannt und sich dadurch eine lukrative Marktlücke erkämpft. Die Erfolgsfaktoren der Coworking Spaces tun ihr übriges, um den Trend weiter- hin zu stärken.

Dieser immobilienwirtschaftliche Umschwung hat starke Wechselwirkungen mit den parallel ablaufenden Veränderungen in der Mobilitätsbranche, in der Energiewirtschaft, der Informations- und Kommunikationstechnologie und nicht zuletzt der Wohnungswirtschaft. Gemeinsam genutzte Immobilien, Produktion und Logistik, Agiles Arbeiten und Mobilitätsdienstleistungen miteinander zu verknüpfen, ist deshalb die Zukunftsperspektive von Shared Services.

Felix Gauger, M. Sc. betrachtet das Thema Flexible Office Space am Fachgebiet Immobilienwirtschaft sowie Baubetriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Darmstadt aus der Forschungsperspektive:

„Aktuell begleiten wir wissenschaftlich den Umzug eines Unternehmens, das von seinem eigenen Büro in einen Coworking Space umzieht — auch das kommt vor. So stellen Coworking Spaces nicht immer nur zeitlich befristeten Office Space dar, sondern werden aufgrund der genannten Gründe teils auch als dauerhafte Arbeitsplatzvariante bevorzugt. Gründe, die auch im Wettbewerb um die besten Talente bei der Generation von heute zählen.“